Neues zu den Orphan Medical Devices
Bei Arzneimitteln zur Diagnose oder Behandlung seltener Erkrankungen lohnt sich die Entwicklung unter den üblichen Marktbedingungen nicht. Die EU hat 2000 die „Verordnung über Arzneimittel für seltene Leiden“ in Kraft gesetzt. Hierdurch wird einerseits festgelegt, dass die Zulassung zentral über die EMA erfolgt, der Hersteller jedoch Gebührenerleichterungen für wissenschaftliche Beratung und das regulatorische Verfahren sowie Marktexklusivität erhält.
Auch bei den Medizinprodukten stellen sich besondere Herausforderungen für Medizinprodukte die bei der Untersuchung oder Behandlung von seltenen Erkrankungen zum Einsatz kommen sollen. So ist die Entwicklung oft anspruchsvoller, aufwändiger und risikoreicher. Die klinische Bewertung ist teurer, da die Patientenrekrutierung aufwendiger und langwieriger ist. All dies kann es für die Hersteller unwirtschaftlich machen, Produkte für seltene Erkrankungen auf den EU-Markt zu bringen, da die geringen Verkaufsmengen die Kosten für die Entwicklung möglicherweise nicht ausgleichen. Dies führt bereits jetzt zu Engpässen z. B. bei der medizinischen Versorgung von kleinen Kindern und Säuglingen.
Mit dem MDCG-Dokument 2024-10 von Juni 2024 ist nun erstmals ein in der Medical Device Cordination Group abgestimmtes Dokument vorhanden, welches sich mit der Problemstellung der Orphan Medical Devices beschäftigt. Dieses Dokument hat zwar nur empfehlenden Charakter und keine Gesetzeskraft. Es soll jedoch Hilfestellungen für die Hersteller und Benannten Stellen geben z. B. Argumentationshilfen und Erläuterungen, wie Spielräume der MDR genutzt werden können. Im Dokument sind erstmals Kriterien für Orphan Medical Devices genannt; Zum einen wird auf die Definition für seltene Erkrankungen verwiesen (nicht mehr als 5 von 10.000 Personen in der EU dürfen betroffen sein). Zum anderen sollte das Produkt von nicht mehr als 12.000 Personen in der EU pro Jahr angewendet werden. Es muss an einer ausreichenden Alternative fehlen oder einen erwarteten klinischen Nutzen im Vergleich zur verfügbaren Alternativen bieten.
Nicht in den Anwendungsbereich des MDCG-Dokuments fallen Sonderanfertigungen, Eigenherstellungen, Produkte ohne medizinische Zweckbestimmung und In-vitro-Diagnostika. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, hat der Hersteller nachzuweisen. Nicht relevant ist hierbei der Grund für die niedrige Anzahl der betroffenen Personen.
Im Teil A des MDCG-Dokumentes 2024-10 werden Überlegungen zur klinischen Bewertung angestellt. So werden beispielsweise Hinweise auf erlaubte Einschränkungen bei klinischen Daten oder die Hinzuziehung anderer Datenquellen wie von Äquivalenzprodukten, Registern oder durch Off-Label-Use hingewiesen. Auch die Extrapolation von Daten anderer Populationen ist unter Umständen akzeptabel, beispielsweise bei Ausgleichung über Post-Market Aktivitäten (PMCF).
Im Teil B werden verfahrensrechtliche Erwägungen angestellt. Beispielsweise wird für Benannte Stellen die Möglichkeit der Zertifizierung unter Auflagen („Certificate with Conditions“) erwähnt. Auch wird die Rolle von Expertengremien im Zusammenhang mit Produkten für seltene Erkrankungen beschrieben (expert panels).
Positiv zu werten ist, dass in diesem Dokument erstmals inhaltliche Aspekte der klinischen Bewertung für Orphan Medical Devices besprochen und bewertet werden. Allerdings bringen die hierin erwähnten Maßnahmen lediglich Erleichterungen für die klinische Bewertung, nicht jedoch für das gesamte Konformitätsbewertungsverfahren. Es bleibt daher fraglich, ob die notwendigen Erleichterungen hiermit bereits eintreten werden. Immerhin wird die Problemstellung der Medizinprodukte für seltene Erkrankungen erkannt und erstmals konkretisiert. Es bleibt abzuwarten, ob weitere Schritte folgen, z. B. Bereitstellung von Fördergeldern, regulatorische Unterstützung für Hersteller, Gebührenerleichterungen, insgesamt erleichtertes Zertifizierungsverfahren.